Über Maßtabellen und Größeneinteilungen

 

Hin und wieder bekomme ich Fragen wie "Warum passt mir bei Deinen Schnitten eine andere Größe als bei den Schnitten von Designerin xy?" oder "Meine Kaufgröße ist Größe x, warum ist das nicht auch meine Größe bei Deinen Schnittmustern?"

Manchmal höre ich aus diesen Fragen auch Frust, Enttäuschung oder sogar Empörung hinaus, deswegen möchte ich hier einmal ein paar Erklärungen da lassen.

 

 

Das Wichtigste:

Maßtabellen haben nichts mit Bewertungen zu tun! Sie sagen nichts über Deine Person und Deinen Wert aus!

 

Maßtabellen dienen zur Orientierung. Sie sollen Dir dabei helfen, für das Kleidungsstück, das Du nähen möchtest, die Größe auszuwählen, die am besten zu Deinem Körper passt.

 

Am besten ist es, wenn sowohl eine Körpermaßtabelle vorhanden ist als auch eine Tabelle mit den Fertigmaßen des Kleidungsstücks. 

So kannst Du nämlich ablesen, um wieviel mehr Weite (z.B.) das fertige Kleidungsstück im Vergleich zum Körpermaß in derselben Größe hat. So kannst Du zum Beispiel erkennen, ob der Sitz des Schnitts eher locker gedacht ist oder eher körpernah. (Du kannst Dir auch das Maßband im Fertigmaß um Deinen Körper halten und prüfen, ob Dir die Weite angenehm vorkommt, oder Du kannst das Fertigmaß mit einem fertigen, gut passenden Kleidungsstück vergleichen.)

 

Um sich in einer Tabelle zurecht zu finden, müssen zwangsläufig Kategorien gebildet werden, es müssen also in diesem Fall einzelne Größen festgelegt werden, die durch bestimmte Werte definiert werden - z.B. Der Brustumfang für die Konfektionsgröße 40 beträgt 92 -95 cm. Ohne solche Einteilungen funktioniert es nicht (außer in der Maßschneiderei bzw. wenn ein Kleidungsstück nur einem individuellen Körper passen muss).

 

ABER: Diese Einteilungen sind bis zu einem gewissen Grad willkürlich und daher auch bei den verschiedensten Schnittmuster- und Modelabels unterschiedlich! Auch, wenn Du ein ausländisches Schnittmuster nähst oder ein schon älteres, können die Größensysteme sehr verschieden sein.

Wer also Kleidung von verschiedenen Schnittanbietern näht oder auch Kleidung von verschiedenen Marken kauft, wird nicht immer dieselbe Größenzahl am Etikett stehen haben - ich denke, diese Erfahrung hat schon fast jede/r gemacht.

 

 

Die Körpermaßtabelle und die Größeneinteilung, die meinen Damen-Schnittmustern zu Grunde liegt, habe ich natürlich auch nicht einfach so frei erfunden, sondern aus der Fachliteratur zur Schnittmusterkonstruktion.

 

Andere SchnittmustererstellerInnen benutzen andere Tabellen (die nicht schlechter oder besser sind, nur anders). Oftmals, so hat man mir vermittelt, wären diese Tabellen "kundenfreundlicher", das heißt, wer bei den Fabelwald-Schnitten eine Größe 46 näht, näht bei anderen Labels vielleicht eine 44 oder manchmal sogar eine 42. Wie kann es dazu kommen?

 

Zum einen haben Tabellen unterschiedlich viele Spalten d.h. Kategorien um dieselbe Spanne an Körperumfang einzuteilen.

Zum Beispiel: Die eine Tabelle teilt einen gemessenen Hüftumfang von 100 - 119 cm in 6 verschiedene Größen ein; in einer anderen Tabelle wird diese Spanne aber in nur 5 Kategorien aufgeteilt. Wenn diese Kategorien nun durchnummeriert werden, ergibt sich am Ende in der Tabelle mit mehr Kategorien natürlich eine andere - in dem Fall größere - Bezeichnung für die Größe, die zum Hüftumfang 119 cm passt als in der Tabelle mit weniger Kategorien.

 

Zum anderen ist auch das kleinste Körpermaß und somit die kleinste Größe, bei der die Tabellen beginnen, nicht immer dieselbe. Es gibt Körpermaßtabellen, die davon ausgehen, dass - bleiben wir wieder beim Hüftumfang - ein Hüftumfang von 93 cm einer Größe 34 entspricht und dies auch die kleinste Größe ist. Wenn dann von diesem Ausgangspunkt in regelmäßigen Abständen gradiert wird und die Größen nach oben weiter durchnummeriert werden, wird am Ende eine Größe 46 in dieser Tabelle natürlich einem größeren Körpermaß entsprechen als in einer anderen Tabelle, die davon ausgeht, dass zu Größe 34 ein Hüftumfang von 90 cm gehört.

Meine Schnittmuster fangen bei 32, also einer recht kleinen Größe und einem entsprechend kleinen Körpermaß an. Würde ich, wie viele andere SchnittmacherInnen, ein größeres Körpermaß als Ausgangspunkt für meine kleinste Größe nehmen, diese kleinste Größe aber trotzdem Größe 32/34 oder XXS oder was auch immer nennen, und von dort aus nach oben durchnummerieren, würden sich die Benennungen der anderen Größen entsprechend verschieben und meine Kundinnen würden bei gleichem Körpermaß eine "kleinere" Größe nähen.

 

Das führt zum nächsten Punkt: Die Größen müssen irgendwie benannt werden, aber es sind einfach nur irgendwelche Zahlen, die dazu dienen, die einzelnen Kategorien von einander zu unterscheiden. Ich habe mich für die bekannten, fortlaufenden Zahlen von 32-50 entschieden.

Manche SchnitterstellerInnen benutzen statt Zahlen auch andere Benennungen, aber egal, ob die Größe nun 40 oder 42 heißt, A oder F, 4 oder 7, Rot oder Blau, Susi oder Irmi - es ist immer dieselbe Größe, solange sie sich auf dasselbe Körpermaß bezieht! (Und Du wirst auch immer erkennen, ob Du am Anfang oder am Ende der Skala liegst und Dir ausrechnen können, welcher üblicheren Bezeichnung der andere Name entspricht.)

Und es bleibt auch immer derselbe Körper, für den Du nähst oder für den Du Kleidung kaufst!

Du bist, ganz offen gesagt, nicht plötzlich schlanker, nur weil die Schnittmusterlinie, die Du abpaust, Größe 38 statt 40 genannt wird. Du bist aber auch nicht dicker, wenn Du den Pulli der einen Marke, auf dessen Etikett 46 steht, trägst und nicht den im Grunde gleich großen Pulli der anderen Marke, auf dessen Etikett die Zahl 44 gedruckt ist. (Klar, Körpermaße können sich im Lauf der Zeit ändern, aber betrachten wir das mal als Momentaufnahme.)

 

 

Ich habe lange überlegt und auch mit meinen Probenäherinnen diskutiert, ob ich meine Größen-Benennungen ändern/verschieben soll, mich aber letztlich dagegen entschieden - damit es einheitlich bleibt, und auch, weil die kleinsten Größen sonst verschwinden müssten oder mit Kindergrößen benannt werden müssten (was aber nicht stimmen würde). (Und ich möchte diese kleinen Größen beibehalten.)

Eine andere Möglichkeit wäre, Größen zusammenzufassen und somit eine Tabelle mit weniger Kategorien zu erhalten - dadurch würden sich die Größenbenennungen auch verschieben - meiner Meinung nach ginge das aber auf Kosten der Genauigkeit, ich finde mehr einzelne Größen besser.

 

Was ich auf gar keinen Fall möchte, ist, jemanden zu kränken oder zu beleidigen oder zu frustrieren!

Bitte mach Dir nichts aus den Zahlen! Du kannst sie gerne für Dich umbenennen oder was auch immer, aber bitte betrachte sie nicht als wertende Aussage.

Noch einmal: Maßtabellen sollen kein Anlass für Frust sein, im Gegenteil, sie sind ein tolles Hilfsmittel, damit Du die Größe auswählen kannst, die am besten zu Deinem Körper passt.

Deshalb ist es auch so wichtig, die Maßtabellen nicht einfach zu ignorieren! Bitte befass Dich damit, bei meinen Schnitten und auch bei allen anderen Schnittmustern! Und lass Dich nicht verwirren oder abschrecken, wenn Du einmal diese und einmal diese Größe wählen musst, Du fangst sozusagen bei jeder Maßtabelle wieder von vorne an. Und die wenigen Minuten, die das Ausmessen und Lesen der Tabellen benötigen, stehlen nicht wertvolle Nähzeit, sondern sorgen dafür, dass das Kleidungsstück am Ende mit größerer Wahrscheinlichkeit passt. :-)

 

Noch ein paar Ergänzungen:

 

Die Einteilung in verschiedene Kategorien/Größen beruht auf Durchschnittswerten. Es kommt trotzdem häufig vor, dass Frauen diesem Durchschnitt nicht entsprechen und zum Beispiel auf Grund des Hüftumfangs eine andere Größen wählen müssten als auf Grund des Brustumfangs. Das Großartige am Selbernähen von Kleidung ist, dass Du diese individuellen Unterschiede durch Anpassungen am Schnittmuster berücksichtigen kannst! In meinen E-Books gebe ich immer Tipps, wie die Schnittmuster angepasst und abgewandelt werden können. (Und es zahlt sich auf jeden Fall aus, sich auch darüber hinaus mit Schnittmusteranpassungen zu beschäftigen. Nicht Körper sind es, die irgendwie "falsch" sind, die Schnitte sind es, die vielleicht nicht ganz dazu passen und deshalb abgeändert werden können.)

 

Außerdem kommt vielleicht auch die Frage auf, warum die Fabelwaldschnittmuster nicht noch mehr Größen enthalten. Momentan beinhalten meine (neueren) Damen-Schnittmuster jeweils 10 Einzelgrößen, was, wie ich finde, schon eine recht große Auswahl ist. Trotzdem ist mir bewusst, dass es Frauen gibt, die außerhalb dieses Größenbereichs liegen, aber vielleicht auch gerne einen der Schnitte nähen würden. Einfach weiter gradieren ist hier aber keine Lösung, es bräuchte neue Grundschnitte vor allem für den sogenannten "Plus-Size"-Bereich. Das schaffe ich aber momentan nicht. Das tut mir Leid. Auch hier möchte ich wiederum niemanden kränken oder schlecht behandeln, aber ich mache das alles ganz alleine und habe auch keine endlosen Energie- und Zeitreserven und deshalb fürs erste so entschieden.

 

Auf der Schnittmusterseite bzw. den jeweiligen Unterseiten und auch jeweils in den Shops, in denen meine E-Books gekauft werden können, könnt Ihr die Maßtabellen zu den Fabelwald-Schnittmustern vor dem Kauf einsehen und so entscheiden, ob sie zu Eurem Körper passen könnten.

 

 

Und abschließend: Es kann bei keinem Schnittmuster eine Gelinggarantie geben; auch wenn Ihr Euch an die Tabellen hält, kann es vorkommen, dass Euch das Ergebnis am Ende nicht gefällt. Da gibt es noch so viele Dinge mit zu berücksichtigen: Stoffwahl und persönlicher Geschmack, persönlicher Stil usw. zum einen, zum anderen können Personen mit denselben Maßen dennoch unterschiedliche Proportionen haben, auch die Körperhaltung spielt mit usw...

Ein Kleidungsstück, egal ob nach meinem oder einem anderen Schnittmuster genäht, wird einfach nicht an jedem Körper gleich aussehen und nicht jeder Frau gleich gut stehen, denn 

jeder Körper ist anders und das ist gut so!

Beim Selbernähen kannst Du Dir aber genau die Kleidung nähen, in der Du Dich am wohlsten fühlst - auch wenn Du vielleicht ein bisschen Geduld investieren musst. Ich wünsche Dir dabei einen entspannten Umgang mit eigenen vermeintlichen "Problemzonen", aber vor allem viel Spaß und Freude!

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Milla (Montag, 03 Februar 2020 09:33)

    Ein ganz toller Beitrag!

  • #2

    Oma Stina (Montag, 03 Februar 2020 09:58)

    Ohje! Die Sprachpolizei dringt in alle Bereiche ein. Gerade heute ist diesbezüglich in interessanter Artikel erschienen: "Der letzte Schrei: Schneeflöckchen-Sprech für Ärzte". Die Leute glauben ernsthaft, wenn ich den (bösen) Begriff verschwinden lasse, verschwindet auch das Problem. Angesichts der Absurdität des Themas hast du einen sehr versöhnlichen Blogeintrag geschrieben.

  • #3

    Nria (Freitag, 07 Februar 2020 09:09)

    Danke für den Beitrag! Bei manchen Leuten herrscht so ein Irrglaube vor, dass es eine negative Konnotation zu bestimmten Zahlen gibt. Aber das stimmt halt nicht - wenn die Größen jetzt Hase, Pinguin und Kätzchen hießen statt 36, 40 oder 48, hätte irgendwann die Größe "Kätzchen" eine negative Konnotation.
    Generell wären wir besser dran, wenn wir versuchen würden, die Größen einfach als Beschreibung und nicht als Wertung zu sehen. Eigentlich ist das ja sowieso Unfug - eine 1,85 m große Freundin von mir würde auch in sehr schlank wohl nicht in Gr. 34 passen, während ich mit meiner zierlichen 1,54 m-Statur auch in leicht pummelig noch in Gr. 38 passe. Und dazu sagt die Kleidergröße nun wirklich nichts über Schönheit aus ... Ich bin froh, dass ich meine Probleme mit Kleidergrößenzahlen mit Anfang 20 hinter mir gelassen habe. Inzwischen wäre ich bloß dankbar für ein normiertes Größensystem - bei Schnittmustern kann ich auf die Maßtabelle gucken, aber wenn ich doch mal Kleidung im Laden kaufe, bin ich manchmal echt ratlos ... (üblicherweise trage ich 38. Wenn ich in einem Laden zur 40 greifen muss, so what. Von dem Laden, wo ich erst die 38, dann die 36, dann die 34 anprobiere, bis es passt, komme ich mir aber eher veräppelt als geschmeichelt vor ...)